
Zwischen Genie und Wahnsinn liegt ein schmaler Grat. Um weiterhin diese Balance halten zu können tut unsere Autorin in der kommenden Woche alles, um ihre künstlerischen Adern pochen zu lassen- mit mehr oder weniger Erfolg.
Ideenreich starte ich in das Wochenende. Am Freitag lasse ich mir aber erst einmal erklären, wie die Ideen eines kreativen Menschen, nämlich eines Illustrators, eigentlich entstehen. Im Literaturhaus spricht Christoph Niemann von Alltagsdingen, die ihn inspirieren und immer wieder zu neuen Gedankesblitzen führen.
Am Samstag erwache ich früh und fühle mich wie ein Genie, das seine Kunst noch nicht gefunden hat. Ich gehe auf Streife durch München und verbinde das Ganze mit einem Spaziergang durch den Nymphenburger Sportpark. Hier entdecke ich ein handballfeldgroßes Feld, an dessen beiden Enden jeweils drei Ringe auf Kopfhöhe aufgestellt sind. Auf der Wiese laufen zwei Teams herum und kämpfen um einen Ball, den sie in die Ringe werfen wollen. Doch was ist das? In ihrer Nicht-Wurfhand halten sie noch etwas anderes in der Hand – einen kleinen Besen. Ich fühle mich stark an Hogwarts erinnert und lese tatsächlich, dass es sich hierbei um die deutschen Winterspiele im Quidditch handelt. Inspiriert von J.K. Rowling erschufen ein paar Studenten das Spiel für die Realität – auch das ist etwas, das in mir die Freude an der Kunst weckt. Doch lassen wir den Sport hinter uns, ich schwinge mich auf meinen imaginären Besen und mache mich auf die Suche nach Kunst für die Ohren. Etwas stolprig lande ich im Kulturkeller der Schwanthalerhöhe, wo heute das Finale der Truth or Dare – Benefizkonzertreihe stattfindet. Butterbier kriege ich hier leider nicht, doch Helles für 2.50 nehme ich gerne an – immerhin bin ich mit dem Besen unterwegs.
Um nicht in meine eigene Fantasiewelt abzudriften, flüchte ich mich in die eines anderen: Cy Twombley. Im Museum Brandhorst kostet der Eintritt am Sonntag nur einen Euro und bietet viel Abwechslung. Twombley ist einer der einflussreichsten, spätmodernen Künstler, er spielt mit Farben und sogar mit Lyrik in seinen Gemälden. Ich bin beeindruckt und mache mich auf den Weg zu einem netten Cafe, um endlich alle Inspirationen des Wochenendes zusammenzufassen.
Am Montag habe ich die Quidditch-Spiele noch nicht ganz vergessen können und frage mich, wieso es eigentlich so viele Märchen und Mythen über Hexen gibt. Das Dunkel-Mysteriöse scheint dem Menschen schon immer sehr kunstreich zu sein. Was allerdings passieren kann, wenn sich eine Stadt gegen Zauberei und dessen vermeintliche Anwender ausspricht, sehe ich im Residenztheater. Dort wird heute Abend das Stück „Hexenjagd“ aufgeführt.
Am Dienstag ist dann aber Schluss mit den unrealistischen Inspirationsquellen. Ich brauche Fakten und Zahlen von Künstlern, die es tatsächlich geschafft haben, Vorbildcharakter für zukünftige Genies anzunehmen. Gefunden habe ich sie schnell in der größten Konzerthalle Münchens: Die Fantastischen Vier kommen in die Olympiahalle. Seit über einem Viertel Jahrhundert stehen sie gemeinsam auf der Bühne und sind wahrscheinlich heute noch Ansporn für viele deutsch-schreibende und -singende Künstler.
Und siehe da, ich entdecke, dass ich nicht die einzige bin, die ihre Inspiration in der Realität sucht. Christine Umpfenbach nahm sich den Angehörigen der NSU-Morde an und machte daraus das Theaterstück „Urteile“, das am Mittwoch im Marstall gezeigt wird. Der riesige Baum, der kopfüber von der Decke hängt, wäre für mich schon Stoff genug, um einen 30 Seiten langen Lyrikband zu schreiben, doch was ich auf der Bühne zu sehen bekomme, reicht sicherlich für die nächsten Jahre.
Wie ich jedoch meine Theatererfahrung mit dem künstlerischen Genie in mir verbinde, versuche ich am Donnerstag in der Bar Corleone herauszufinden. Hier laden die Fachschaften der Kunstgeschichte und der Theaterwissenschaft ein zu feiern. Ich bin gespannt auf das Publikum und werde mir von jedem Studiengang jemand schnappen, um meine Frage zu diskutieren.
Ausgelaugt erwache ich am Freitag und halte die Ergebnisse der letzten Woche fest. Mir fehlt es weder an Inspiration, noch an dem Workflow, daher probiere ich mich in allem aus: schreiben, malen, singen, tanzen und hüpfen. Ich spüre das Blut in meinen künstlerischen Adern fließen und entdecke doch ein Gefühl der Bewusstlosigkeit. All diese Künste zeigen sich mir und doch ist es nicht eine einzige, der ich mich verschreiben kann. Ich verkneife mir den Ausspruch eines Genies und beginne doch langsam, ihn zu verstehen:
„Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor.“
Um dem Leistungsdruck eines Genies nicht zu verfallen und meine Inspiration aufrecht zu erhalten, suche ich mir eine neue Energiequelle. Ich finde sie am Freitag im Milla, wo 24/7 Powernap das Motto meines Wochenendes wird. Entschleunigen und Abschalten bei den richtigen Beats ist jetzt genau das, was ich brauche.
Text: Sandra Will
Foto: Privat