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EP-Kritik: Liann - Goldjunge

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Lianns neue EP “Goldjunge” hat das Zeug dazu, Vorbild für eine neue Generation deutscher Singer/Songwriter sein - mithilfe von klugen, nachdenklichen und vor allem sehr ehrlichen Texten.

Die Zeiten für junge Singer/Songwriter sind bei Leibe nicht einfach momentan – zumindest nicht aus einer künstlerischen Perspektive. Hat doch Jan Böhmermann in einer genialen Persiflage all das menschenlebentanzenwelthafte der deutschen Popmusikszene seziert, durchgespielt und beendet. Wie kann man da jetzt künstlerische Akzente setzen, ja ernst genommen werden? Schön singen allein reicht nicht, denn das können sie ja alle, die sie nur mal kurz die Welt retten wollen oder nur einer von achtzig Millionen sind.

Vielleicht führt der Weg zurück ins Kleine, ins Private, ins Autobiografische? Zumindest zeigt die kürzlich erschienene zweite EP „Goldjunge“ des Münchner Singer/Songwriters Kilian Unger alias Liann, wie man es richtig machen könnte. Nur mit einer Gitarre, reduzierter Begleitung und einer fantastisch-sanften Stimme gelingt Liann das, was viel von der aktuellen Chartmusik nicht gelingt: echt und glaubhaft Gefühle auszudrücken und zu erzeugen. Die Platte beginnt unaufgeregt mit dem Titel Memoiren, einer kleinen Abhandlung über das Erwachsenwerden, Erwartungsdruck und das Scheitern, „auf einmal volljährig, aber meistens nur voll“. Auch Chicago – szenisch, der Rauch von Feuerwerkskörpern, die ein vergangenes Spektakel nur erahnen lassen und der Kater setzt schon ein – bremst das Tempo der heutigen Zeit, lässt Wehmut und Fernweh verschmelzen, ein bisschen „Ich war noch niemals in New York“, ein bisschen „Don’t look back in Anger“. Und in Felix stirbt die Hoffnung nicht zuletzt, nein, die „Hoffnung tut noch weh“. Natürlich geht es um Liebe, natürlich ist der Protagonist noch betrunken oder schon verkatert – so sicher kann man sich da bei Liann nie sein. Im titelgebenden Goldjunge erzählt er eine Geschichte, die auch die Rapcombo K.I.Z. regelmäßig erzählt, naturgemäß mit deutlich drastischeren Worten. Liann schafft es dabei ganz subtil, vorsichtig Emotionen zu wecken, doch mehr zwischen den Zeilen oder durch die Musik. Die Fäden der EP laufen schließlich in Peter Pan zusammen, erwachsen obwohl man das nie wollte – „halb noch ein Kind, halb Veteran“.

Und so hinterlässt einen die viel zu kurze Platte melancholisch, nachdenklich, irgendwie berührt. Vielleicht ist das tatsächlich die Lösung für die deutsche Popmusik, nicht die großen, allumfassenden Topoi aufgreifen, sondern die eigenen Geschichten erzählen und dabei echt bleiben – auch wenn es sich dann als Fehlalarm herausstellt.


Text: Philipp Kreiter

Foto: Victoria Schmidt


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