
Während andere an Silvester feiern gehen, trifft sich unser Autor mit seinem Freund zu einer Weinprobe. Zumindest vorerst. Eine Geschichte darüber, was nach dem verflixten siebten Glas passiert.
Es knallt. Zweimal und kurz hintereinander. Das Wohnzimmerfenster zittert sanft, während von irgendwoher eine Katze schrill aufheult. „Die Deppen von Nachbarn mit ihren Bomben warten halt ned bis Mitternacht“, schimpft Tobias mit Brille und Holzfällerhemd aus der Küche, bringt rasch zwei Teller und sieht wieder nach dem Essen. Ich lasse mich in das bestickte Kissen auf dem schwarzen Ledersofa fallen. Es duftet verlockend nach Kurkuma, denn Tobias kocht indisch. Entspannt richte ich die aus dem Keller meiner Eltern stibitzten Weinflaschen nebeneinander auf dem Glastisch an. Ready for Weinprobe !
Alljährlich ist die Weinprobe in Tobias´ Wohnung unsere rettende Insel gegen das tosende Silvestermeer da draußen: „Das Jahr wird so toll“, hört man das Silvestermeer rauschen. „So viel vorgenommen. So viel. Das wird gigantisch. So gigantisch. So viel. So laut. So super.“ „So ein Unsinn“, hallt es von unserer Insel. An Silvester herrscht aller Orten dieser naive Glaube an den großen Wendepunkt. Tobias und ich glauben, dass das einzig ´Große´ nach Silvester der Kater am nächsten Tag ist. Wie die guten Vorsätze ist der auch nach zwei Tagen vergessen. Deshalb ist unser Silvesterritual, uns jedes Jahr bei guten Weinen zu treffen und mit diebischer Freude über die Silvesteroptimisten zu lästern. Betrinken ? Ja bitte. Gute Vorsätze und laute Silvesterparty ? Nein wirklich nicht. Nach einigen Gläsern Rotwein wird uns alten Grundschulfreunden dann klar, dass es noch andere Dinge gibt, die supernervig sind und so erweitern wir unseren Lästerhorizont:
Beim vierten Glas Wein: „ Wieso heißt es in der Werbung ´Caffé solo con Giotto´? In keinem Café krieg ich das. Ich will mein Giotto zum Kaffee. A Sauerei is des.“ Ich stimme Tobias energisch zu.
Beim fünften Glas: „Das Wetter wird auch immer besser.“ Ist das ein Grund zur Aufregung? Schwierig. Ich stimme Tobias trotzdem noch energischer zu.
Das sechste Glas: Leise Melancholie schleicht sich ein. Wir hören die herzzerreißende Band ´Life in Film´, die niemand mag (Kulturbanausen!), uns ausgenommen. Zum Glück gibt es unsere Silvesterinsel: Da läuft nur gute Musik.
Das verflixte siebte Glas: Liebe kann lästig sein, auch an Silvester. Tobias schlägt vor doch noch, auf eine Party zu gehen, selbst wenn er keine Lust hat. Er weiß aber, dass dort meine verflossene Liebe feiert. „Das klappt doch niemals“, wiegle ich ab. „Wenn ned, is eh wurscht. Lieber nimmst du einen zweiten Korb zu dem einen, den du schon hast. Dann kannst du wenigstens sterbenssicher sein, dass sie dich scheiße findet“, beteuert Tobias. Nach viel Rotwein leuchtet mir immer alles ein, also stürzen wir uns ins Silvestermeer. Auf der Party torkle ich um 1:30 Uhr zum möglichen Glück. Dann reißt mein Film ab.
Am Neujahrsmorgen schrecke ich von Tobias´ Sofa auf. Eine schwarze Katze putzt neben meinem Kopf ihr Fell. Wie bitte ? Tobias stolpert herein: „Wie ist die Katze hier rein gekommen?“ Wir witzeln über ´Supercat´, die durch Wände geht und nach Milchvorräten sucht. ´Supercat´ bekommt von uns ein Milchfrühstück, das sie hastig verputzt. Anschließend tapst sie hinaus in die Kälte. Die ersten Neujahrsstrahlen glänzen auf ihrem Fell.
„Schee wars“, bricht Tobias das Schweigen „Bis dann Maxi.“
Als ich die vom Müll geteerte Straße nach Hause gehe, knallt es wieder bei den Nachbarn. Die Bomben müssen fallen –das ganze Jahr- und ´laut´ muss die Welt sein, denn ´leise´, das ertragen sie nicht. Die Freundschaft mit Tobias trägt die stille Zweisamkeit gegen das Laute da draußen. Besonders an Silvester wird mir das bewusst.
Text: Maximilian Weigl
Foto: Yunus Hutterer