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Zeichen der Freundschaft: Logik, Wein und Utopie

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Einen Weinkenner im Freundeskreis zu haben, das ist eine klasse Sache. Wenn dieser Freund auch noch Menschenkenner ist, dann umso besser. Unsere Autorin erzählt über Hass-Liebe-Freundschaften und logische Lösungsansätze für Utopien.

Irgendwann um fünf Uhr morgens fahren wir rechts ran. „Herzerle, wir sind da. Gehört der Bub‘ da zu dir?“ Ich sprinte bis nach vorne zum Fahrersitz. „Na Gott sei Dank“, rufe ich erleichtert und bedanke mich bei meinen Busfahrern für die Fahrt. Nach meinem Fauxpas an der kroatischen Grenze, einem sechzehn stündigen Aufenthalt in Slowenien und der endgültigen Heimfahrt zurück nach Bayern, stehe ich nun in Hippie-Hose, ungeschminkt an einer Raststätte kurz vor Rosenheim. Jean nimmt mich in den Arm, drückt mir einen großen Cappuccino mit Sojamilch in die Hand, lässt sich vom Busfahrer meinen Koffer überreichen und wir steigen zusammen ins Auto.

„Nun ja, nicht die beste Reise deines Lebens Anastasia. Aber hey, du kannst eine gute Geschichte mehr erzählen“, scherzt Jean. “Ganz ehrlich? Ich glaube, dass es irgendeinen Grund gibt, weshalb das schief ging. Das wäre sonst einfach nur unlogisch.” Ich muss ihm Recht geben. Auch wenn ich mich selbst nicht auf Logik berufen will, eine gute Geschichte ist es auf jeden Fall. Und mit Sicherheit gibt es einen Grund für meinen gescheiterten Kroatien-Trip. Dennoch bin ich gerade zu müde, um darüber nachzudenken weshalb ich gerade einen halben Tag in einem schäbigen, slowenischen Motel verbringen musste. „Du hast Recht“, sage ich, „auf eine Woche Partyurlaub hatte ich sowieso wenig Lust. Wie wäre es stattdessen mit ‘nem Weinabend kommende Woche?“

Gesagt, getan. Der Begriff „Weinabend“, klingt in vielen Ohren nach Alte-Leute-Spaß, nach etwas, das meinen Eltern gut gefallen könnte. Allerdings steckt dahinter gar nicht so viel mehr, als Grillen mit Freunden und eben viel guter Wein. Damit kennt sich Jean nämlich aus. Er würde niemals irgendeinen Billig-Fussel trinken. Wir beide bevorzugen Rotwein. Trocken, versteht sich. Diese Abende enden jedes Mal sehr ähnlich: Hitzige Diskussionen über Politik und Tierhaltung, gespickt mit den immer gleichen und dennoch lustigen Anekdoten aus der gemeinsamen Oberstufenzeit.

Wie diese Hass-Liebe-Freundschaft zwischen Jean und mir begonnen hat, das wissen wir beide auch nicht mehr so genau. Auch sonst niemand aus dem Freundeskreis, noch nicht einmal seine Freundin Lotte, meine Kippen-Kaffee-Kränzchen-Partnerin, kann sich daran erinnern oder sich diese Freundschaft erklären. Witzes halber behaupten wir oft, uns gar nicht zu mögen. Schließlich gehen wir uns eh ständig auf die Nerven und mit unseren Albernheiten auch vielen anderen Leuten.

Desto später der Abend, desto müder die Gäste. Lotte verabschiedet sich mit einem Kuss von ihrem Freund und ich nehme sie noch einmal fest in den Arm. Schließlich bleiben nur noch Jean und ich tapfer sitzen und trinken ein letztes Glas Rotwein. Während ich von meiner Vorstellung einer utopisch-guten, sozialien Welt erzähle, er über meine Naivität lachend den Kopf schüttelt und wir beide uns fragen, wo wir und unsere Freunde in etwa zwanzig Jahren stehen, fällt mir mal wieder auf, wie gut er mich kennt. Ich erzähle nie zu viel, zumindest nicht, wenn’s um die wichtigen Dinge geht. Ich bin kein offenes Buch und manchmal gar nicht so leicht zu ertragen. Allerdings ist Jean nicht nur Wein- sondern auch Menschenkenner. Ich brauche nie viel zu reden, er versteht mich auch so. Jean weiß immer den einzig logischen Weg, der mich zu den Antworten auf meine Fragen führt. Weil ich aber kein großer Freund von Logik bin, vertraue ich viel lieber auf seine Fähigkeiten als Weinkenner. Das kann manchmal ebenso gut helfen wie logisches Denken und erschafft zusätzlich bunte Utopie-Bilder in unseren Köpfen.


Text: Anastasia Trenkler

Foto: Yunus Hutterer


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