
Viele Freundschaften zerbrechen, sobald man nicht mehr gemeinsam zur Schule geht. Doch das ist nicht so bei unserer Autorin und ihrer Freundin Tanja. Die Gesprächsthemen bleiben trotz Distanz die selben: Ängste, Romantik, Träumerei.
„Das macht mir `ne verdammte Angst.“ Schweigen. Langgezogenes, ehrliches Schweigen. Wir halten für einige Sekunden Blickkontakt, dann fällt Paul betrunken durch die Tür in den Gang. Wir lachen. Paul ist sich trotz seiner Trunkenheit bewusst, dass er gerade fehl am Platz ist. Mit einem gelallten „Sorry Mädlz, ich geh schong“, verlässt er uns.
Es kommt mir so vor, als wäre kein Tag vergangen, seit dem wir alle grinsend unsere Abiturzeugnisse in den Händen hielten. Genau wie zu Oberstufen-Zeiten treffen wir uns an diesem Freitagabend zu Hause bei Jean und plündern seinen heiß geliebten, aber nicht geizig behüteten Weinvorrat. Die gleichen Freunde tanzen auf der Couch, dieselben übertreiben es ein wenig, noch immer werden zu meinem Bedauern Vegetarier und Veganer belächelt und auch kommt es erneut zu weinlastigen Gesprächen im Hausflur. Man tauscht Gedanken und Ängste, Wünsche und andere Dinge aus, die man sonst lieber für sich behält. Vielleicht sind die Gespräche heute ein wenig erwachsener, jetzt, da wir alle über ganz Deutschland verstreut leben. Ich blicke der frisch gebackenen Passauerin, die mir gegenüber steht, in ihre kleinen braunen Augen. Ein Gefühl von Heimat macht sich bemerkbar.
Kennengelernt haben Tanja und ich uns zu Schulzeiten. Man hielt
lange Zeit Distanz, bis sich die Wege im Bio-Kurs kreuzten, man pubertäre
Vorurteile überwinden konnte und zwischen Klausurenphasen und Weinabenden zueinander
fand. Es folgten geschwänzte Bio-Stunden, anstatt Bio-Lern-Stress, dann
biologischer Hormon-Gefühls-Stress. Bei Kaffee und Bagels erzählten wir uns
Woche für Woche von momentanen Jugendsorgen. Tanja lehrte mich wie niemand
sonst, dass es gar nicht so schlimm ist, hin und wieder voll und ganz Mädchen
zu sein. Sie zeigte mir, dass Liebesgedichte eigentlich ganz nett sind und dass
Romantik nicht zwingend Kitsch bedeutet. Doch in allererster Linie machte mir
Tanja bewusst, was Schwäche zeigen bedeutet. Und wie es ist Ängste zuzulassen.
Nämlich stark zu sein. Ehrlich.
Wir stehen zu zweit im uns so vertrauten Hausflur und nippen wortlos an unseren Weingläsern. Noch einmal: „Das macht mir wirklich `ne verdammte Angst.“ Sie nickt. Verständnis. Wir beide wollten aus der Enge unserer Kleinstadt raus. Wollten fliehen, wollten weit weg laufen, die Augen öffnen, atmen. Die frische Luft tut verdammt gut, doch wir hüten uns vor zu schnellem Laufen. Wenn man zu schnell fort sprintet, nichts mehr als raus will, vergessen will, dann bekommt man manchmal Reizhusten auf halber Strecke. Dann muss man pausieren.
Also pausieren wir an diesem Freitagabend. Wir sprechen über neue
Städte, neue Menschen und neue Herausforderungen. Träumen von Spanien und
Indien, von einem Café am Rande der Welt und von Grapefruits zum Frühstück.
Sprechen von Karrierefrauen und Großfamilien in zwanzig Jahren, WG-Partys und
Isar-Bier. Über viele Veränderungen. Erneut platzt jemand zur Tür herein. Wir
beide müssen grinsen. Ganz gleich, was noch auf uns zu kommen wird, manche
Dinge werden sich wohl nie ändern: Dieselben Freunde tanzen auf der Couch,
immer noch Gespräche über Ängste und Romantik im Hausflur, die immer gleichen
lallenden durch die Tür herein Fallenden. Darauf ist Verlass.
Text: Anastasia Trenkler
Foto: Yunus Hutterer